Digitalisierung im Visualtraining - Chancen und Schwierigkeiten in 2022

Digitalisierung im Visualtraining - Chancen und Schwierigkeiten in 2022

Stuttgart, im Mai 2022

Es sind unsichere Zeiten angebrochen. Auch in der Optometrie. Noch spüren wir „nur“ die Vorboten einer wirtschaftlichen Krise, die nach und nach immer mehr Bereiche der Wirtschaft erreicht. Rohstoffe werden knapp und teuer. Bei manchen ist gar unsicher, ob es sie zeitnah überhaupt geben wird. Klassische, auf Wachstum und große Stückzahlen angelegte Geschäftsmodelle stoßen an ihre Grenzen. Zumindest aber wird klar, welche Schwächen diese Modelle mit sich bringen. Da stellt sich natürlich auch in der Optometrie die Frage: Wie abhängig sind wir inzwischen?

Schauen wir uns zunächst die Schwierigkeiten an:

Im Visualtraining hat sich über Jahrzehnte ein strukturiertes Modell etabliert, nach dem tausende Augenspezialisten weltweit arbeiten: Nach einer gründlichen Binokularanalyse wird je nach Fall ein individuell angepasster Trainingsplan für den Kunden/Patienten erstellt. Dieser beinhaltet neben Ausdrucken vor Allem auch viele professionelle Produkte aus der ganzen Welt, um das Problem Stück für Stück durch kontinuierliches Visualtraining zu verringern. Oft beinhaltet solch ein Training 10-15 solcher Produkte. Obwohl dieser Ansatz langsam seinen Weg aus der Nische findet, ist es insgesamt immer noch ein recht kleiner Markt, wenn man ihn bspw. mit klassischen Märkten wie Kontaktlinsen oder gar Brillen vergleicht. Im Rahmen eines Myopie Managements allerdings wird das Thema der binokularen Sehprobleme immer bekannter und relevanter. In einem Interview der FOCUS bspw. berichtet Prof. Degle, dass die Brillengläser für das Myopie Controlling bei Konvergenzinsuffizienz zu einer Fehlversorgung führen können. Andererseits scheint der Bereich Visualtraining auch für immer mehr klassische Augenoptiker interessant zu werden, darunter sogar schon mancher Filialist. Während Online Discounter zunehmend Marktanteile gewinnen, scheint sich die hochwertige Dienstleistung beim Optometristen zu einer Stärke zu entwickeln, welche man nun ausspielen kann. Für eine vollständige Versorgung ist ein Visualtraining also ein wichtiger Faktor. Um aber übliche Skaleneffekte bei der Produktion von Visualtrainings-Produkten zu erreichen, müsste der Markt dennoch um ein Vielfaches größer sein, als bisher.

Andererseits hängt das Wachstum dieses Marktes auch oft damit zusammen, ob und wie viele Eltern sich dazu entscheiden, für ihr Kind ein Visualtraining zu buchen. Denn Kinder sind auch laut einer neuen Umfragen bei VISUS immer noch die Hauptzielgruppe bei einem optometrischen Visualtraining.

Wie wird diese Entscheidung gefällt? Genaue und gute Daten dazu gibt es leider aktuell nicht. Nur Schätzungen, Erfahrungswerte und erste Befragungen. Zum Einen steht die Frage im Raum, wie erfolgreich das Training eingeschätzt wird. Lohnt sich die Investition? Zum Anderen bedeutet es für die Eltern vor Allem: Wie kriege ich mein Kind dazu, regelmäßig die Übungen durchzuführen? Und möchte ich mir das zutrauen, neben all dem Stress im Eltern-Alltag? Ein weiterer Faktor, der uns oft in Gesprächen mit Visualtrainern bestätigt wird, ist die Qualität der Produkte. Hier gibt es eine recht gute Datenlage, die auf unseren Verkaufszahlen basiert, sowie der Entwicklung des Produktdesigns.

Mehr als die Hälfte unserer Produkte für das Visualtraining stammen von Herstellern aus dem Ausland. Grund dafür ist, dass sich das Visualtraining zunächst in den USA entwickeln konnte und erst später nach Europa kam. Dadurch ist uns der Markt in Nordamerika um einiges voraus und Vorgehensweisen wurden übernommen. Viele Produkte, die für die einzelnen Verfahren im Visualtraining eingesetzt werden, blieben über Jahrzehnte gleich und werden in Seminaren angewendet. Zudem ist ein weiterer Faktor die Vielfalt. Wenn es bei den selben 10-15 Artikeln bliebe, wäre die Beschaffung und Produktion deutlich simpler. Jedoch entstanden bei den einzelnen Augenspezialisten untereinander recht unterschiedliche Gestaltungsformen eines individuellen Trainings, welche als Resultat auch andere Ausprägungen bei den Produkten benötigen. Mal muss die Größe einer Karte anders sein, mal die Farbe des Grüntons, oder gar die Breite eines Farbstreifens. Des Weiteren hat die Professionalisierung des Visualtrainings dazu geführt, dass die Produkte immer detaillierter wurden und von einer Kategorie plötzlich drei bis vier Versionen entstanden. Kurzum: Es gibt inzwischen rund 1.000 verschiedene Artikel für das Visualtraining, von denen mindestens 500 regelmäßig von unseren Kunden genutzt werden. Ob man sich als Visualtrainer nun Sorgen um die Verfügbarkeit machen muss, gerade in einer Krise wie jetzt, wo es an immer mehr Rohstoffen und Teilprodukten mangelt? Zumindest sollte man sich jetzt ganz konkret Pläne für eine alternative Versorgung machen. Denn laufende Visualtrainings sollten nicht abgebrochen werden. Und Neukunden nicht aufzunehmen ist auch keine nachhaltige Alternative. Zeit also, sich ein wenig mit neuen Konzepten und Produkten vertraut zu machen. Es könnte ja vielleicht sogar sein, dass diese ein Visualtraining verbessern?

Nun zu den Chancen: Die Digitalisierung im Visualtraining

In einem klassischen Visualtraining bieten sich technisch nicht alle, aber viele Übungen dazu an, digital ausgeführt zu werden. Für Vergenzübungen werden oft Folien mit roten und grünen Motiven verwendet, zusammen mit einer rot-grün-Brille für die Trennung. Dieses Verfahren zu digitalisieren haben sich bereits Firmen vor Jahrzehnten angenommen und umgesetzt. Wer die PCs und Software vor 20-30 Jahren noch kennt, kann sich in etwa vorstellen, wie so etwas ausgesehen hat. Leider entstand hier nicht viel mehr Innovation – bis vor etwa einem Jahr (siehe unten). Die Technologie blieb relativ gleich (Installation per CD mit Verifikation eines Aktivierungscodes). Die Optik auch. Der große Hype um das „Visualtraining am PC“ brach nicht wirklich los. Auch wurden Übersetzungen ins Deutsche und andere Sprachen leider nie eingepflegt – der Absatz war zu gering. War es ein Henne Ei Problem? Darüber lässt sich streiten.

Wir hatten uns bei VISUS ab einem bestimmten Zeitpunkt dazu entschieden, etwas Geld in die Hand zu nehmen, um bestimmte Produkte qualitativ und optisch zu verbessern. Es war uns wichtig, dass ein Training dadurch hochwertiger wirkt. Entweder ersetzten wir sie durch moderne Alternativen neuer Hersteller, oder wir ließen sie selbst für uns produzieren. Das hat meist recht gut geklappt, auch weil wir nun manche Produkte wie Flipper und Pappbrillen deutlich günstiger anbieten können und diese stets lagernd bestellbar sind. Das verringert den Einkaufswert des Visualtrainers und macht (hoffentlich) den Preis für den Endkunden attraktiver.

Im Software-Bereich waren wir bereits einer der ersten, der in Deutschland eine Refraktions-Anwendung für Windows vertrieb. Wir bemerkten Schwierigkeiten im Bereich Eyetracking. Besitzer klobiger Headsets mit aufwendiger Wartung und Reparatur im Ausland fragten uns nach Alternativen. Zusammen mit dem Entwickler der Refraktions-Software arbeiteten wir an einer Eyetracking-Software, welche unter Windows auf normalen PCs läuft und lediglich ein kleines Teil spezieller Hardware benötigt: Eine schmale Eyetrackingleiste von tobii, die per USB 3.0 Kabel verbunden wird. Während Visualtrainer nun bestehende Hardware im Betrieb dafür nutzen konnten, konzentrierten wir uns auf das Verbessern der Software. Zum Jahreswechsel 2022 erfuhren wir schließlich, dass der Support des fremden Eyetracking-Headsets auslaufen soll. Seitdem erreichen uns zahlreiche Anfragen neuer Kunden zu unserer Software. Der Vorteil liegt auf der Hand.

Etwa 2-3 Jahre nach Launch unserer Eyetracking-Software stießen wir auf ein kleines Startup aus Kalifornien auf einem Fachkongress in Wien. Zwei der Gründer selbst stellten dort neben uns aus, wir verabredeten uns vorab, da wir ihre Software spannend fanden. Sie nutzten Standard Virtual Reality Brillen (wie bei Elektronikmärkten erhältlich), um damit ihre neuartige Visualtrainings-Software zu nutzen. Das Erlebnis und die Erkenntnis des Potenzials für das Visualtraining waren phänomenal. Während in einem klassischen Visualtraining mit Trennerbrille nur kleine Ausschnitte fusioniert werden, wird der Bereich in einer VR-Brille komplett übereinander gelegt. Wenn man sich dreht, bleibt das gesamte Bild fusioniert. Es gibt auch keine „motion sickness“ mehr, da die heutigen VR-Brillen viel performanter sind. Ein Visualtraining in einer völlig eigenen Welt war nun möglich. Die Entwickler konnten sogar Funktionen für Okklusion und Blur präsentieren, ganz abgesehen von der Möglichkeit, horizontale und vertikale Prismen per Klick zu simulieren. So konnte Kunden mit Amblyopie und Strabismus noch besser geholfen werden. Die Software „Vivid Vision“ ist inzwischen eines unserer High Lights und bei über 70 Visualtrainern in Europa erfolgreich im Einsatz, auch als Home Variante mit mobiler VR-Brille, was während Lockdowns zum riesen Vorteil wurde. Lange Anfahrten konnten Eltern sich ersparen. In den USA steht nun der Launch einer Perimetrie-Funktion bevor. Die Studienlage scheint gut zu sein. Man möchte damit das Gesichtsfeld gerade von Glaukom-Patienten regelmäßig überprüfen. Für Vivid Vision reicht ein VR-fähiger Windows PC für etwa 900 €, sowie eine VR-Brille (HTC Vive / Vive 2 / Vive Pro Eye). Wer die Technik fürchtet, kann sie bei uns gratis ausprobieren, oder eine Kolleg*in besuchen. Zudem haben wir bereits an mehrere Anwender verkauft, die uns offen sagten, dass sie „nicht gut mit Windows umgehen können“. Im Verkauf sind bis zu 2 h Einweisung, sowie gratis Support für ein Jahr enthalten.

Wer etwas weniger aufwendig mit Software für das Visualtraining starten möchte, hat inzwischen eine sehr komfortable und äußerst moderne Lösung: EYEBAB. Die web-basierte Software wird über den Internet-Browser auf PC, Tablet oder Handy aufgerufen. Im Hauptmenü kann der Visualtrainer Kunden anlegen und Lizenzen für diese erwerben und zuteilen. Der Kunde loggt sich dann zuhause oder im Urlaub ein und trainiert die Übungen, die der Visualtrainer ihm zugewiesen hat. Dass EYEBAB besonderen Wert auf gute Optik gelegt hat, sieht man sofort. Die Design-affinen Dänen sind recht nahe bei Lego angesiedelt und profitieren vom guten Grafiker Cluster. Technisch benötigen Sie hierzu als Anwender noch weniger: Da EYEBAB web-basiert ohne Installation sofort funktioniert, können Sie nahezu jedes internetfähige Endgerät verwenden. Von PDAs mit WAP-Verbindung raten wir aber ab…

Kommen wir nun zu unserer letzten „Chance“ in diesem Artikel: Dem digitalen Management von Visualtrainings in der Cloud. Bereits seit einiger Zeit besteht ein Trend: Software per Installation gibt es immer weniger. Immer öfter hingegen wird sie von einem Server online abgerufen. Das hat viele Vorteile: Sie ist weder an einen bestimmten PC gebunden, noch an ein Betriebssystem und man kann sie quasi von überall bedienen, sofern man Internet hat. Außerdem läuft sie dadurch auch auf kleinen Geräten wie Tablets oder Handys. Und Updates können ganz einfach ohne Installation genutzt werden. Anwender benötigen dadurch schließlich viel weniger IT-Kenntnis als früher. Die Software ist sogar so gestaltet, dass es kaum zu technischen Problemen kommen kann. Ein Windows-Update kann hier kaum noch zu Komplikationen führen. Wer also Bedenken vor Software hat, sollte sich etwas Zeit nehmen und sich die neuste Generation einfach mal in Ruhe ansehen. Es hat sich wirklich viel verändert.

Mit „ocobii“ können Augenspezialisten all ihre Visualtrainings per Browser managen. Man loggt sich ein und sieht auf einen Blick alles was man braucht. Es können Kunden/Patienten kinderleicht über Buttons angelegt werden. Vorgefertigte Trainingspläne (z.B. „Konvergenzinsuffizienz“) lassen sich mit einem Finger-Touch zuweisen. Und in laufenden Trainings können Sie eine ungewünschte Übung aus einer Einheit entfernen, oder andere hinzufügen. Ihr Kunde bekommt all die Übungserklärungen dann als Trainingsplan zugeschickt und kann dort jederzeit nachsehen. Eltern und Trainer werden so zeitlich und geistig entlastet. Aktuell erhält man den Trainings-Plan noch als Link oder PDF, aber in sehr naher Zukunft dann per App aufs Smartphone. Dort sollen dann Feedbackmechanismen und automatische Funktionen zur Motivation laufen, um das Training noch besser und komfortabler zu unterstützen. Aus unsere kürzlichen Befragungen ging nämlich hervor, dass ein Visualtraining viel effektiver abläuft, je motivierter der Kunde dabei ist.

Klingt gut! Aber wie geschieht der Wandel?

Diese Frage ist berechtigt. Digitalisierung bedeutet nicht, dass man Software erwirbt und damit alles „digitalisiert“ ist. Vielmehr ist es wichtig, dass auch die internen Abläufe angepasst werden müssen, um überhaupt die Software erfolgreich einsetzen zu können. Und dazu zählt der Faktor Mensch: Er muss diese Software ja bedienen. Wenn Sie die Digitalisierung für Ihr Visualtraining nutzen möchten, raten wir Ihnen dazu, auch Ihre Abläufe richtig anzupassen. Denn wenn ein Kunde in Zukunft nicht einfach eine Tasche mit VT-Material erhält, sondern einen Aktivierungscode per Email, müssen Sie in der Lage sein, ihm das zu erklären. Doch genau hierbei helfen wir Ihnen. Zum Einen werden Sie in die Handhabung eingewiesen, zum Anderen können Sie uns immer kontaktieren und nachfragen. Man darf außerdem optimistisch bleiben, was die Bedienbarkeit der neuartigen Software angeht: Im Vergleich zu traditioneller Software, wie man sie seit 20 Jahren kennt, sind die hier vorgestellten Produkte viel einfacher und intuitiver zu bedienen. Das Argument „ich bin nicht so gut mit Computern“ verliert hier nahezu komplett an Relevanz.

Was übrigens für alle Software-Produkte spricht: Sie sind ressourcenschonender als klassische Visualtrainings-Produkte. Die Geräte zum Abrufen bestehen meist sowieso schon. Lediglich eine Internetverbindung und Strom für das Gerät werden benötigt. Und Letzteres soll oder wird ja bald zunehmend aus regenerativen Energien stammen. Bei klassischen Produkten hingegen gibt es immer Produktions-Ausschuss, der entsorgt werden muss. Es wird meist mit Kunststoff produziert, da nachhaltige Lösungen bei geringen Stückzahlen noch (!) zu teuer sind. Sie müssen verpackt (Karton, Folien) und gelagert werden (Heizkosten). Und man muss sie tatsächlich „um die halbe Welt“ schicken, was wiederum CO2 ausstößt.

Außerdem kann Software Telemedizin ermöglichen: Das Training findet dann nahezu autark zuhause unter digitaler Supervision statt und der Kunde muss weniger oft in den Betrieb kommen. Das Infektionsrisiko und der logistische Aufwand werden so reduziert.

Wer jetzt einfach mal seinen Blick in die Ferne wirft, sieht eine Klimakrise durch zu hohen CO2-Ausstoß, eine Pandemie die noch etwas körperlichen Abstand benötigt und eine Wirtschaftskrise in der physische Produkte teuer und schwer zu beschaffen sein werden. Und man sieht einen Unternehmer, der all das irgendwie im Betrieb managen muss. Wäre es da nicht an der Zeit, von bisherigen Strukturen Abstand zu nehmen und frische Lösungen auszuprobieren? Wer darauf zumindest Lust hat, sollte uns auf der OPTI 2022 vom 13.-15. Mai besuchen: In Halle C4 auf Stand 476.

Ihr VISUS-Team

 

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